Seit jeher bin ich vom menschlichen Verhalten in höchstem Maße fasziniert, um nicht zu sagen, ist es mir eine große Freude, auf diesem Gebiet Forschungen anzustellen, wozu sich der öffentliche Nahverkehr besonders eignet. Der alltägliche Wahnsinn zur Rushhour. Alle Sitzplätze belegt. Ich glotze aus dem Fenster. An einer Haltestelle steigen weitere Fahrgäste, darunter auch eine ältere Dame, zu. Der erste Fahrgast zeigt sich bereit, ihr seinen Sitzplatz zu überlassen, was sie jedoch dankend ablehnt. Fortan fühlen sich auch andere Fahrgäste dazu angehalten, der älteren Dame ihren Sitzplatz schmackhaft zu machen. Obzwar sie durchwegs zu verstehen gibt, dass sie sich nicht hinsetzen möchte, stehen plötzlich etliche Sitzplätze leer und all die Beflissenen, nebst der älteren Dame, im Gang. Einer von ihnen erweist sich als besonders hartnäckig auf seiner heiligen Mission, wodurch die ältere Dame sichtlich in Verlegenheit gerät, schlussendlich kapituliert und sich seinem guten Willen beugt. Ich sehe, wie sich ein Gefühl des Triumphes in seinem Antlitz breitmacht und spüre einen eigenartigen Widerwillen in mir. Halte ich es etwa nicht für notwendig, dass Menschen solidarisch und hilfsbereit handeln…natürlich halte ich es für notwendig, dass Menschen solidarisch und hilfsbereit handeln, mehr denn je sogar, doch an irgendetwas störe ich mich in diesem Szenario. War es nicht womöglich ein Spiel, welches lediglich darauf abzielte, die ältere Dame dazu zu benutzen, diesen Menschen in seiner Tugendhaftigkeit zu bestätigen…